Sonntag, 16. August 2015

Die Urlaubsfeelingphase



Der Blick von unserem Balkon
Ausblick aus unserer Wohnung


Über eine Woche ist seit meiner Ankunft hier in Bosnien vergangen. Was gibt es also Neues zu berichten? Guten Nachrichten zu erst: Es gibt hier Kinder Schokolade! Alle Sorten! Die Mengen an Kinderschokolade im Voraus zu essen, war also nicht direkt nötig, aber es hat auch nicht geschadet (außer vielleicht meiner Figur :D).
Generell das Entdecken von Heimat-Lebensmittel hier im Supermarkt hat wahre Euphorie bei mir ausgelöst. Nicht weil mir die bosnischen Produkte nicht gefallen: Nein (Ajvar wird auf jeden Fall mein Lieblingslebensmittel 2015), viel mehr weil ich mich tierisch freue, wenn ich mal weiß, was ich kaufe und nicht nur aufgrund der Bilder auf den Verpackungen entscheide, ob ich das richtige Produkt in der Hand halte oder eben nicht. Wenn meine zur Zeit eigentlich nicht existenten Bosnischkenntnisse erst einmal ausgebaut sind, werden mir die deutschen Lebensmittel wahrscheinlich auch keinen Trost mehr bieten müssen. Dann kann ich es auch mal wagen, Lebensmittel zu kaufen, auf denen keine Bilder des Inhaltes abgedruckt sind. Bis zu diesem schönen Tag wird es wohl noch ein wenig dauern. Zwar kommen wir bei unserem zweiwöchigen Intensivkurses echt gut voran und ich habe auch echt das Gefühl, dass ich viel lerne, ABER bei sieben Fällen und einer Grammatik, von der meine Lehrerin meinte „You have to learn it by heart!“, kann es wohl etwas länger dauern, bis ich feine bosnische Konversation betreiben kann. Wahrscheinlich wird mein Abreisetermin nächstes Jahr meinen Lernprozess weh unterbrechen. Bis dahin heißt's für mich erst einmal die Englischkenntnisse auspacken.
Brav am Lernen
Zu meinem Glück kann hier fast jeder (zumindest die Leute unter 40) entweder Deutsch oder Englisch sprechen. So konnte ich sogar schon ein paar Gespräche mit Einheimischen führen. Doch jetzt sattle ich das Pferd wohl von hinten auf. Beginnen wir beim Anfang...

...Zur Zeit wohne ich mit meinem Mitfreiwilligen und Mitbewohner Julian in Simin Han (das ist ein Vorort von der wunderschönen Stadt Tuzla). Hier in Simin Han gibt es eine Art Gemeindezentrum, das Agora und in diesem Zentrum arbeiten super nette Leute. Allen voran Asmira, ohne die wir hier ziemlich aufgeschmissen wären. Nicht nur dass sie den Intensivsprachkurs organisiert hat und als Dolmetscherin alle offiziellen Arbeitserlaubnis- und Visumsangelegenheiten begleitet, sie hat uns auch Gesprächspartner-technisch vermittelt. Sie war wirklich so nett und hat für Julian und mich ein Treffen mit anderen Bosniern eingefädelt.
Das Agora bei Nacht.
Der weiße Schriftzug "Geto"
bedeutet übrigens
wirklich Ghetto :D





Und so lernten wir dann Suza, Bojan und Semir kennen und trafen uns mit ihnen auf ein paar Drinks in Tuzla. Alle drei können super gut Deutsch bzw. Englisch und sind total nett. Sie zeigten uns das beliebte Cafe Sloboda und den noch beliebteren Platz davor, auf dem sich abends sowohl unter der Woche als auch am Wochenende wahre Menschenmengen versammeln, um sich dort mit Freunden zu treffen und zu chillen.
Was uns unsere drei „Blind-Dates“ zu erzählen hatten, war unglaublich interessant und spannend: Wie z.B. trotz der geringen Löhne und der hohen Arbeitslosenrate die Leute es schaffen, ein Leben mit hohen Standards zu führen und wie es hier üblich ist jemanden zu kennen, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der einem bei egal welchem Problem weiterhelfen kann. Auf diese Art und Weise und mit ein paar Flaschen Bier als Entlohnung lässt sich hier anscheinenden sogar ein Trupp von Leuten zusammentrommeln, mit dem man ein eigenes Haus bauen kann.
Die Unterschiede zu Deutschland sind hier kaum merklich, doch in solchen Momenten merke ich doch, dass die bosnische Mentalität anders ist als die deutsche. Alles ist entspannter, ruhiger, langsamer. Insgesamt gefällt mir diese Entspanntheit sehr. Nur an eines werde ich mich hier wohl nicht so schnell gewöhnen: das durchschnittliche Gehtempo ist hier so viel geringer als bei uns.
Unsere Räder
Nicht gerade selten sorgt das dafür, dass wir mit unserem „zackigen Marschtempo“ direkt als Deutsche erkannt werden. Generell ziehen wir häufiger wundernde Blicke auf uns. Ich weil ich ungeschminkt das Haus verlasse und Julian, weil er sein pinkes Fahrrad gerne benutzt, um in die Stadt zu kommen. Fahrradfahrer sind hier schon selten, aber ein Kerl auf einem pinken Rad ist anscheinend eine Rarität.
Abgesehen von den leichten Anpassungs-schwierigkeiten gibt es aber noch so viel mehr zu berichten. Jetzt einmal ganz unabhängig von allen kulturellen Unterschieden betrachtet, gibt es für mich als „Erstmalig-von-zu-Hause-weg-Wohnerin“ und Kaffkind so viel zu entdecken. Auf der positiven Seite steht ganz klar, dass ich nicht mehr am Ende der Welt wohne, sondern mit dem Fahrrad in eine für meine Verhältnisse ziemlich große Stadt fahren kann (Julian ist von Augsburg etwas andere Größenverhältnisse gewohnt als ich aus Buchholz/Aller, was der Grund sein kann, warum er Tuzla im Gegensatz zu mir als relativ klein empfindet) und wenn man mal keine Lust hat bei 35 Grad mit dem Fahrrad zu fahren, kann man natürlich auch den Bus nehmen. Jedoch sollte man dann auch etwas mehr Zeit einplanen, denn einen richtigen Busfahrplan gibt es hier nicht. Wir haben nicht einmal eine richtige Bushaltestelle sondern nur eine Art Kiesplatz, auf den man sich stellt und dann eine undefinierte Zeit lang wartet, bis ein Bus kommt (ich glaube im Winter kann das echt „lustig“ werden).
Ein Taxi voller Einkäufe
So kommt man also nach Tuzla, eine echt coole Stadt, die mir alles bietet, was ich brauche; von allen möglichen Supermärkten, über Bars und Clubs bis hin zu den sehr, sehr salzigen Salzseen (wir sprechen hier von Salzkrusten im Haar nach dem Schwimmen).
Selbst das Einkaufen ist zur Zeit immer noch recht amüsant, weil Julian und ich mit den Einkäufen immer lieber ein Taxi nehmen, anstatt auf einen Bus zu warten. Jedes Mal ist es äußerst lustig dem Taxifahrer irgendwie zu deuten, wo genau wir in Simin Han wohnen (zur Zeit machen wir das meistens noch mit Handzeichen). Besonders lustig wird es, wenn wir einen rasanten Fahrer haben, der mit quietschenden Reifen in die Kurve vor unserer Straße biegt.
Ein weiterer positiver Aspekt meines Auslandsjahres ist das Wohnen in Simin Han. Der etwas kleinere Vorort ist echt schön und unsere Wohnung ist für zwei Personen richtig groß.
Da das aber jetzt auch unsere Wohnung ist, bedeutet das gleich eine ganz andere Verantwortung als noch bei Mama zu wohnen. Putzen, Abwaschen, Wäsche waschen, Badezimmer putzen und Ordnung halten; ohne Mums Hilfe ist das doch mehr Arbeit als gewohnt (und das obwohl ich den Punkt „Ordnung halten“ recht nachlässig behandle).

Und so kommen wir zur negativen Seite meines Aufenthaltes: gleich in meiner ersten Woche hier hatte ich das Vergnügen, mit Domestos den Schimmel aus der Dusche zu schrubben und Berge von alter Wäsche von unseren Vorgängern in einer mediumoptimal funktionierenden Waschmaschine zu waschen. Ich kann mir eindeutig bessere Alternativen zum Zeitvertreib einfallen lasse. -.-'
Ein wenig die weißen Wände aufpeppen
Aber nachdem das jetzt erledigt ist, kann ich mich wieder den positiveren Punkten zuwenden. Da ich hier ein sehr schlichtes Zimmer mit weißen Wänden bezogen habe, habe ich jetzt allerlei Gestaltungsmöglichkeiten offen, um mein Zimmer zu dekorieren. Das Zeichnen und Malen für meine Zimmerdekoration hat nebenbei noch den positiven Vorteil, dass ich in der Zeit, in der ich noch nicht wirklich was zu tun habe (außer unter der Woche vormittags zum Sprachkurs zu gehen und mich von Zeit zu Zeit mit Suza und Bojan zu treffen), beschäftigt bin.
Das bedeutet nicht, dass ich jetzt meine ganze Freizeit zu Hause mit malen verbringe. Es fällt immer irgendwas an wie kochen oder saugen oder z.B. auch Julians Geburtstag. Er hatte das Pech, dass sein Geburtstag direkt in der ersten Woche hier war. Einen Geburtstagskuchen gab es trotzdem. ;)
Geburtstagskuchen
Insgesamt gefällt mir das „Eine-eigene-Wohnung-haben“ trotz der anfallenden Arbeit ziemlich gut. Besonders auch weil unsere Vermieter super freundlich sind und die Umgebung für mich als Dorfkind eine sehr beruhigende Atmosphäre ausstrahlt. Nachts zirpen die Zikaden laut, man kann die Sterne sehen und die Luft ist frisch. Zumindest wenn nicht gerade einer der Nachbarn seinen Müll verbrennt oder man an heißen Tagen an der ziemlich zugemüllten Jala (ein kleiner Fluss in der Nähe unserer Wohnung) vorbeiläuft. Sogar ein Haustier gab es zur Wohnung dazu: Jerry ist ein Straßenhund, der den Nachbarn zugelaufen ist jetzt häufiger vor unserer Haustür schläft. Er ist wirklich sehr süß und auch wenn er das von mir gefütterte Hundefutter verschmäht, so lässt er es sich dennoch nicht nehmen, uns bis ihn die Stadt zu begleiten, wenn wir mal zu Fuß gehen.
Jerry treibt sich oftmals bei uns rum
Das einzige, dass trotz Landlebenserfahrung ungewohnt für mich war, ist, dass ab halb 4 Uhr morgens die gesamten Hähne der Nachbarschaft um die Wette krähen, aber daran gewöhnt man sich schnell, wenn man mal Pfauen in der Nachbarschaft hatte. :D Auch der Muezzin war für mich ungewohnt, aber daran habe ich mich sogar noch schneller gewöhnt: im Vergleich zu den in Deutschland üblichen Kirchenglocken finde ich den Muezzinruf sehr viel angenehmer und entspannter.
So sieht mein Leben hier in Bosnien also vorerst einmal aus: Entspannt und ruhig. Zur Zeit fühlt es sich noch so an, als befände ich mich in einer Art Urlaubsfeelingphase, aber das wird sich sicher legen, wenn ich ab September anfange zu arbeiten und mich hier noch etwas mehr einlebe.
Retro Heu-Style ist hier nicht selten

Mein nächster Blogeintrag folgt deswegen wahrscheinlich erst Mitte September. Bis dahin habe ich erst einmal ein paar mehr Bilder für euch als letztes Mal. ;) 
Habt eine schöne Woche und freut euch schon auf weitere Entdeckung meinerseits hier in Bosnien :)





Imker als Nachbarn - Der Blick aus meinem Zimmer

Montag, 3. August 2015

Erste Eindrücke

Wo fange ich bei meinen ersten Eindrücken nur an? Sollte ich mit den ersten Eindrücken, die ich hier in Bosnien gemacht habe, anfangen oder doch schon mit denen, die ich als Freiwillige bereits vorher in der Heimat machen konnte? Ich schätze der gesamte Vorbereitungs- und Abreisestress gehört dazu. Eine kleine Übersicht kann also nicht schaden:

Prä-Abreisephase (4 Wochen vorher)

Kaum hält man sein Abizeugnis in der Hand, wird einem erst bewusst, dass es nun keinerlei Schutz mehr vor der weiten, unberechenbaren Zukunft mehr gibt. Als Freiwillige deren Abreisetermin schon feststand und die somit noch ein Jahr Schonfrist genießt, fühlt man sich entgegen seiner planlosen Freunden, die Bewerbungen losschicken, Wohnungen suchen und ihr Leben planen müssen, ziemlich entspannt und ausgeglichen. Das einzige, was leicht nervte, doch das kann auch nur an mir liegen, sind die Leute, die ständig mein Reiseziel missverstanden.
Kurzes Beispiel
Random Person: Ohhh, ein Jahr im Ausland? Wo geht’s denn hin?
Ich: Bosnien
Random Person: OHHH, Brasilien! (Holt Luft, um irgendeine Geschichte aus diesem sehr bekannten Land zu erzählen)
Ich: Nein, Bosnien! 

Random Person: Ohhhh... (betretenes Schweigen)
Wohlgemerkt: Nicht alle Leute haben so reagiert, doch die meisten haben erst aufgehört mir verwirrte Blicke zuzuwerfen, wenn ich erklärt habe, dass ich in Bosnien ein Soziales Jahr mache und nicht einfach nur so dorthin reise. Ich wurde dann nicht mehr angestarrt, als sei ich geistig labil, jedoch musste ich jedes Mal die Frage beantworten, wie ich denn auf Bosnien gekommen sei. Ich muss zugeben, es war wirklich nicht mein Top-Wunsch-Ziel, aber mal ernsthaft; Warum ist Bosnien denn ein so unglaubliches Reiseziel? Vielleicht ergibt sich die Antwort während meines Jahres hier ja noch...

Abreise-Phase (5 Tage vorher)

Langsam ging’s in die „heiße Phase“. Bei mir als Last-Minute-Packerin und erkundungsfreudiger Tennager bedeutete das: Koffer packen aufschieben und ein schlechtes Gewissen haben, weil alle um mich herum ihre emotionalen „Bald-geht-sie-weg“-Momente hatten, meine Gedanken jedoch bereits komplett bei meinem Auslandsjahr waren. Für mich war das eine ziemlich entspannte Zeit, die ich mit Freunden verbrachte und in der ich versuchte mir einen einjährigen Vorrat an Kinderschokolade in wenigen Tagen anzufressen (schließlich muss ich auf die ja vorerst verzichten). Die von mir erwartete Panik blieb aus.

Erste Abreise (2 Tage vorher)

Ich hätte erwartet, dass meine letzte Nacht in meinem heißgeliebten Bett der Nacht vor meiner Matheabiklausur ähneln würde: Wach im Bett liegen, versuchen regelmäßig zu atmen, nicht zu weinen und im Endeffekt doch aufgeben und nochmal alles durchgehen. In der Nacht kriegte ich echt kein Auge zu, jedoch nicht auf Grund von Stress verursachter Übelkeit und Schweißausbrüchen, sondern weil ich meine Sachen noch packen musste. (Kleiner Tipp für die Zukunft: Für ein ganzes Jahr ohne Packliste und am Abend vorher zu packen, ist wirklich semioptimal)
Hat aber alles geklappt und ich war schließlich doch pünktlich am Bahnhof, um nach München zu fahren.

Zweite Abreise (1 Tag vorher)

Auch in meiner letzten Nacht in Deutschland schlief ich selig auf dem Gästebett meiner Familie in München. Aufregung verspürte ich nicht, aber Freude darüber meine letzte Zeit in der Heimat noch mit meinen sehr süßen Cousinen und meinem coolen Onkel und meiner coolen Tante verbringen zu können. Die erste Situation, in der mein Körper sich mal dazu bequemte, Adrenalin durch meine Arterien zu pumpen, ergab sich, als Julian (mein Mitfreiwilliger/ Mitbewohner) und ich bereits im Bus nach Tuzla standen. Betonung hierbei ganz klar auf STANDEN. Sitzplätze gab es leider keine mehr. So wurden wir wieder aus dem Bus gescheucht und unser Gepäck wurde uns wieder in die Hand gedrückt. Erst als der Busfahrer zu uns sagte: „Warten Sie hier, es kommt gleich noch ein zweiter Bus“, konnte ich mich wieder etwas entspannen.
Mega gemütlich: 14 Stunden Reisebus
Wir machten es uns also im Bus so gemütlich, wie es eben möglich war, unterhielten uns ein wenig mit den anderen Fahrgästen und ich versuchte einer ziemlich skurrilen bosnischen Komödie mit ausufernden Verfolgungsjagden, klischeehaften Amerikanern mit Revolvern und gelegent- lichen Gesangseinlagen inklusive Musikvideos zu folgen. Nach 12,5 Stunden Fahrt, 2 Stunden Wartezeit an der kroatischen Grenze und gefühlt 104 Beinkrämpfen erreichten wir nun also Tuzla und direkt erwartete uns der erste Kulturschock, als zwei kleine Mädchen über den Busbahnhof liefen, um das Gepäck schlichen und um Geld bettelten. Nachdem wir an so vielen deutschen Geschäften wie Deichmann und DM vorbeigefahren waren, war das wohl der Moment, in dem ich bemerkte, dass es wohl doch größere Unterschiede zwischen Deutschland und Bosnien gibt. Mehr solcher Momente sollten folgen...